6 Entfluchtungsanalyse

Die Entfluchtungsanalyse beschreibt die Einbindung der signifikanten Gesamtentfluchtungsdauer der Entfluchtungssimulation in den Kontext der brandschutztechnischen Infrastruktur und der objektspezifischen Risikobeurteilung durch den Verfasser des Entfluchtungskonzeptes. Sie besteht aus folgenden Schritten:

6.1 Beschreibung der einflussnehmenden Faktoren und Randbedingungen

  1. Definition des Geometriemodells.
  2. Definition der Populations-Zusammensetzung und Verteilung.
  3. Beschreibung des Flucht- und Rettungswegekonzeptes.
  4. Benennung des auslösenden Ereignisses für die Entfluchtung.
  5. Definition der Abschnittsbildung.
  6. Definition der sicheren Bereiche.
  7. Beschreibung des Alarmierungssystems.
  8. Beschreibung organisatorischer Maßnahmen.

6.2 Betrachtete Szenarien

Die Berechnung der Entfluchtungsdauer erfolgt durch die Analyse eines oder mehrerer Szenarien. Ein Szenarium ist durch eine Geometrie, eine Anfangspersonenverteilung, eine Routenverteilung und die statistische Zusammensetzung der Population definiert. Durch die Änderungen eines Parameters entsteht ein neues Szenarium. Die geplante Nutzungsart sowie die zu erwartenden Personenzahlen sind detailliert zu beschreiben. Besonders zu berücksichtigen sind unterschiedliche Nutzungsarten innerhalb eines Objektes (z. B. Einkaufszentrum mit Multiplexkino und Versammlungsstätte). Aufgrund von unterschiedlichen Nutzungszeiten und Nutzungsdauern, ist es erforderlich differenzierte Entfluchtungsszenarien zu entwickeln.

6.2.1 Anfangsverteilung der Personen

Für die Entfluchtungsanalyse soll die Anfangsverteilung der Personen berücksichtigt werden, welche in den Einreich-/Eingabeplänen oder sonstigen Dokumenten für das jeweilige Objekt oder Räumlichkeiten vorgesehen ist. Da diese stark von der Nutzungs- bzw. Veranstaltungsart abhängig sein kann, muss sie gegebenenfalls beim Nutzer/Betreiber oder Planer erfragt werden. Gibt es keinerlei Angaben über die höchstzulässige Zahl der Personen im Gebäude, so muss diese wie in Abschnitt 6.2.4 erläutert, errechnet werden.

6.2.2 Anordnung der Flucht- und Rettungswege – grundlegender Entfluchtungsfall

Alle vorhandenen Flucht- und Rettungswege stehen für die Entfluchtung zur Verfügung. Die Personen bewegen sich entlang der Flucht- und Rettungswege und kennen den Weg ins Freie bzw. zum nächstgelegenen sicheren Bereich. Hierbei wird unterstellt, dass Beschilderung, Leitsysteme, Schulung eventuell vorhandener Sicherheitskräfte und andere Einflüsse bezüglich Gestaltung und Betrieb der Entfluchtungseinrichtungen mit den Anforderungen der entsprechenden Gesetze und Verordnungen im Einklang stehen.

6.2.3 Flexibilität der Flucht- und Rettungswege -zusätzliche Entfluchtungsfälle

Es empfiehlt sich, in Abstimmung mit der zuständigen Behörde zusätzliche Szenarien zu untersuchen. Hierdurch können die Auswirkungen versperrter Flucht- und Rettungswege und damit die Flexibilität des Entfluchtungskonzepts aufgezeichnet werden.

6.2.4 Berechnung der Maximalbelegungszahl

Für die Ermittlung der Maximalbelegungszahl wird wie in Abschnitt 6.2.2 davon ausgegangen, dass alle zur Verfügung stehenden Flucht- und Rettungswege benutzbar sind und rechtliche und normative Anforderungen an die Entfluchtung erfüllt sind.

Die Simulation wird mit schrittweise reduzierter Personenanzahl soweit fortgesetzt, bis eine Gesamtentfluchtungsdauer innerhalb der durch die rechtliche und normative definierte Entfluchtungsdauer erreicht ist.

6.3 Behandlung der signifikanten Gesamtentfluchtungsdauer

  1. Sowohl die vom Modell vorhergesagte als auch die in der Realität gemessene Gesamtentfluchtungsdauer sind zufallsbehaftete Größen. Das liegt in der statistischen Natur des Entfluchtungsprozesses begründet.
  2. Für jeden Simulationsdurchgang sollen die Anfangspositionen der Personen stochastisch neu bestimmt werden.
  3. Für jeden Simulationsdurchgang sollen die demographischen Parameter der Personen entsprechend der dem Szenarium zugrunde liegenden Populationszusammensetzung stochastisch neu bestimmt werden.
  4. Für jedes Szenario soll eine angemessene Anzahl von Simulationsdurchläufen (mindestens 10) ausgeführt werden. Das ergibt für jedes Szenario 10 Gesamtentfluchtungsdauern. Je nach statistischer Verteilung der Gesamtentfluchtungsdauern ist eine größere Anzahl an Simulationsdurchläufen notwendig, um eine statistisch belastbare Aussage treffen zu können.
  5. Die Ergebnisse aller Simulationsdurchläufe für alle Szenarien sind nachvollziehbar zu dokumentieren. Anzugeben sind eine graphische Darstellung der Dauerverteilung (Histogramm), die minimale, maximale und die signifikante Gesamtentfluchtungsdauer sowie die Standardabweichung.
  6. Die zulässige signifikante Gesamtentfluchtungsdauer ist im Vorfeld mit den Behörden abzustimmen. Ihre Festlegung erfolgt durch die Bestimmung der zur Verfügung stehenden Dauer in der eine Entfluchtung ohne Einflüsse durch das auslösende Ereignis möglich ist, oder entsprechend der rechtlichen und normativen Bestimmungen. Die berechnete signifikante Gesamtentfluchtungsdauer muss kleiner sein.
  7. Für die zulässigen Gesamtentfluchtungsdauern gibt es keine gesetzlichen oder normativen Vorgaben. Die vorhandenen Werte beziehen sich auf einen Teil des Evakuierungsablaufs, z.B. auf den Fluss der Personen durch Ausgangstüren.
    1. in der Europäischen Union [4] werden für Zuschaueranlagen im Freien 8 min genannt5, für Zuschaueranlagen im Gebäude 2 min6. Hierbei handelt es sich um beispielhafte Werte, die kein Akzeptanzkriterium beinhalten.
    2. in Deutschland [1] werden für Tribünen im Innenraum 2 min und für Tribünen im Freien 6 min genannt. Dies sind Werte für eine fiktive Flussdauer (ohne Rückstau, reine Durchflusszeit) und wurden in einem früheren Kommentar als Werte für die Festlegung der notwendigen Fluchwegbreiten in der MVStättV (Deutschland) genannt. Diese Werte ergeben sich durch die Zurückrechnung aus den Annahmen der geforderten Fluchtwegbreiten und der Annahme, dass 100 Personen für das Durchströmen einer 1,2 m breiten Tür 1 Minute benötigen (gemäß Kommentar zur> MVStättV).
    3. in der Schweiz [6] werden für Stadien mit geschlossenem Dach, Räume mit großer Personenzahl 3 bis 5 min und für Stadien mit offenem Dach 8 min als empfohlene Entfluchtungsdauern in genannt.

6.4 Identifizierung von Stauungen

Im Rahmen der Entfluchtungsanalyse müssen auftretende Staus identifiziert, beschrieben und bewertet werden. Ein signifikanter Stau liegt vor, wenn eine lokale Dichte von 4 Personen pro Quadratmeter länger als 10 % der Gesamtentfluchtungsdauer überschritten wird.